Seit vielen Jahren fotografiere ich nun Natur. Die Tierfotografie mit dem langen Teleobjektiv ist meine Spezialität geworden und etliche vorzeigbare Ergebnisse sind entstanden. Wenn das Licht gut war, habe ich auch Landschaftsaufnahmen mit kürzeren Brennweiten gemacht oder seltene Pflanzen wie Orchideen abgelichtet. Meine eigene fotografische Handschrift habe ich entwickelt sagt man mir, meine Bilder hätten Wiederkennungswert.
Horizonterweiterung

Und doch: Betrachte ich viele meiner Fotos und versuche Vorträge zusammen-zustellen, so sind sich die Aufnahmen oft zu ähnlich, Langeweile kommt auf, man ist »in sich selbst gefangen«, sagte mir mein Freund. Deshalb wollte ich meinen naturfotografischen Horizont erweitern, aber wie? So habe ich gelesen, man solle mal wieder einen Normalobjektiv-Tag einlegen. Es funktionierte einfach nicht. Das Normalobjektiv am Vollformat ist nicht meine Brennweite. Die meisten Aufnahmen, die entstanden, waren belanglos.

Porträttele für Naturmotive
Ich bin Telefotograf und brauche die »ge-stauchte« Perspektive. So beschloss ich, mich mit den klassischen Porträttele-objektiven mit 135 mm Brennweite zu beschäftigen, die es von verschiedenen Anbietern auch in sehr lichtstarken Ausführungen gibt. Natürlich nicht ohne Hintergedanken, denn sie haben eine recht geringe Naheinstellgrenze von unter einem Meter, sie sind mit den 1,4 und 2fach Te-lekonvertern verwendbar und auch mit Zwischenringen werden alle Daten und Funktionen auf die Kamera übertragen.

Das Sigma Art 1,8/135 mm faszinierte mich besonders. Wunderbar das Bokeh, hervorragend die Schärfe schon bei offener Blende, aber das Gewicht von rund 1,2 Kilogramm und der Preis schreckten mich ab. Also sah ich mir das mit 750 Gramm deutlich leichtere und etwas lichtschwächere Canon 2,0/135 mm näher an.
Gebraucht in gutem Zustand hat es immer noch seinen Preis und das hat auch einen Grund. Schärfe, Bokeh und auch der Autofokus fallen im Vergleich zum Sigma zwar leicht ab, dafür ist das Canon erheblich leichter und als Actionsobjektiv sind beide Linsen, die auch nicht über Bildstabilisatoren, verfügen ohnehin nicht gedacht. Das könnte meine »Immer-drauf-Linse« für den morgendlichen Erkundungsspaziergang, für den Schnappschuss aus der Hand werden.
Immer dabei
Allzu oft hatte ich – wenn ich ohne Fotoapparat losgezogen war – festgestellt, dass mir vieles entging, was sich auch ohne langes Tele hätte festhalten ließe. Tiere als Eyecatcher in der Landschaft haben auch ihren Reiz, Landschaften in schönen Lichtstimmungen und auch für Pflanzenfotos könnte das eigentlich für Porträts von Menschen gerechnete Objektiv geeignet sein.
Besonders bei weit geöffneter Blende überzeugte mich die gebraucht erstandene Linse. Sie ist – auch ohne Bildstabilisator – sehr gut aus der Hand beherrschbar. Aufnahmen mit 1/125 sec werden meist scharf und wie sich später noch zeigen sollte, ließen sich – abgestützt, beispielsweise auf einen Zaunpfahl – auch deutlich längere Verschlusszeiten gut realisieren.

Bei völlig geöffneter Blende zeichnet das Objektiv noch scharf genug für das Haupmotiv mit wunderbar weichem Hintergrund bei geeignetem Licht entstehen schöne Lensflares. So begann ich die Natur für mich fotografisch neu zu entdecken. Nicht allzu scheue Eichhörnchen im Park konnte ich ebenso anders fotografieren wie die Waldkäuze Hilde und Ewald im Winterwald, deren Tageseinstand ich durch den Tipp einer Freundin kannte, wenn dabei allerdings auch der 1,4 fach-Konverter manchmal zum Einsatz kommen musste.
Vielseitig
Gräser, Blätter, Blüten und Spinnennetze im Gegenlicht, Graureiher und Schwäne in der herbstlichen Kulisse des heimischen Sees, schöne Baumgruppen – auch als Wischerbilder – wurden meine neuen Morive, ebenso wie Spinnen im Gespensterwald von Nienhagen und Gänseschwärme im Darßer Bodden. Regelmäßig verwendete ich das Objektiv für Landschaftsaufnahmen und auch als Makro-Ersatz bei der Fotografie von Wollschwebern und Mücken im heimischen Garten funktionierte es für mich – mit angesetztem Telekonverter und Zwischenringen wie früher, als ich mir so bei eingeschränktem Budget aus einem Normalobjektiv ein preiswertes Makroobjektiv gebastelt habe.

Die kleine Ausrüstung
Mit dem neu entdeckten kurzen Tele konnte ich mich fotografisch weiterentwickeln und Lücken in meinem Portfolio schließen. Sicherlich sind die 135 mm-Linsen nicht die vielgesuchten Eier legenden Wollmilchsäue unter den Objektiven für Naturfotografen, doch ganz individuelle Bilder in höchster technischer Qualität können mit ihnen entstehen, wenn Fotografen und Fotografinnen sich ganz auf sie einlassen und gelernt haben, mit ihnen zu arbeiten. So habe ich meine kleine Ausrüstung gefunden und ziehe nun häufig auch in den gemeinsamen Urlauben mit meiner Frau los, die Kamera mit dem 135er-Objektiv geschultert und Konverter und Zwischenring in der Bauchtasche verstaut, um beispielsweise Schmetterlinge, Eidechsen, die Lorbeerbäume im Nebelwald und auch Landschaften auf Madeira auf den Chip zu bannen. Ausbaufähig ist das Ganze von der Idee her ohnehin, liebäugele ich doch schon seit Längerem mit den lichtstarken 200 mm-Festbrennweiten…